Simones Reiseschnipsel

Was mache ich hier?

vom
31.12.24

Der Anfang einer langen Heimreise

Ans Nordkap und zurück

Das Wetter war garstig, als wir kurz nach Mitternacht am Nordkap mit unseren Fahrrädern starteten. Das Ziel: 7'400 Kilometer bis nach Südspanien. Ich selbst fokussierte mich auf die Etappe bis zum Bodensee, von dort, wo ich zu Hause und im Frühling losgefahren bin. Die Gruppe der 38 Teilnehmenden der NorthCape-Tarifa-Challenge löste sich bald auf, mit mir als Schlusslicht. Es war eine stürmische, kalte und neblige Mittsommernacht – scheinbar etwas für Hartgesottene, Fatalisten und Optimisten oder für «Freiwillige» – mindestens das waren wir alle. Ob wir an diesem oder an folgenden Tagen unsere Grenzen achteten oder überschritten, erweitert haben wir sie auf dieser Reise durch Europa alle. Was bleibt sind Erinnerungen an intensive Erfahrungen, wunderbare Landschaften, viel Natur und besondere Begegnungen und Freundschaften.


Meine Hände sind steif...

...am Ende der Welt. Alle anderen sind schon vom nassen Wind und Nebel verschluckt. Im Licht der Mitternacht sehe ich die Rücken von Rentieren vorbeigrasen. Ob ihre Tränen in diesem Sturm trocknen, ihr Atem wieder fliesst? Plötzlich stand sie neben mir, wir kannten uns nicht. Spontan nehme ich sie in die Arme, meine Hände auf ihrem Rücken, die zuckende Angst streichend. Zwischen uns Schichten. Meine eigenen Bedenken und Pläne für diese Nacht prüfend, klopfe ich sachte unsere Zuversicht wach.

Und dann, um Mitternacht, jede und jeder für sich – raus in den Sturm, in Bewegung kommen, sich bewegen, unbekannte Wege fahren und befahren – sowohl die äusseren wie die inneren. Ich hatte kurzfristig entschieden, in dieser Nacht nur bis zu jener Hütte zu fahren, wo er wacht. Wir hatten uns vor einigen Tagen auf meiner Tour ans Kap getroffen. Es regnete, er war mein Gast und wir teilten meine Hütte. Nun pedale ich Berg um Berg bis zu seiner. Das langsame Steigen fällt mir leicht, vor der schnellen Fahrt jedoch fürchte ich mich. Die windigen Seitenhiebe zerren am Gleichgewicht, wenn sich die Landschaft dem Meer öffnet.

Im Nebel erreiche ich schliesslich sie in einer Senke – sie, die mich letztes Jahr dazu motivierte, hier zu sein. Nun treten und schwanken wir zu zweit. Mein Ziel: ein Dach für drei. Dort angekommen, ketten wir die Räder an und dampfen ein – seines im warmen Raum.
Schnell streifen wir die nassen Schichten vom Körper. Die Euphorie, hier angekommen und dem Draussen entronnen zu sein, zappelt innerlich. Mit klammen Fingern fische ich nach Trockenem, zum Schluss meine norwegischen Wollsocken. Was für ein Glück. Sein geduldiger Blick liegt im Schatten und findet mich.

Ich denke an ihre letzte Schicht. Sie aber ruht schon, still und noch nass, zäh oben unter ihrer Decke. So hänge ich, was von uns tropft, Kleid um Kleid, zum Trocknen vor die Fenster und sperre das arktische Licht aus. Dankbar für diese Zuflucht, schlüpfe auch ich unter. Flüsternd erzählen wir uns von den vergangenen Tagen und staunen über das schnelle Wiedersehen. Zwischen uns eine feine Schicht. Seine Hände wärmend auf meinen und meinem Rücken, das Schlottern streichend, beruhigend in den wachen Schlaf.

Leises Packen vermischt sich mit dem Wind, der nur durch die Ritzen tönt. Die Fähre liegt nur für kurze Zeit im Hafen. Sein Weg nach Hause ist das Meer, meiner führt weiter übers Land. Vor der Hütte umarmen wir den Abschied und richten uns in der Kälte nach Süden. Wieder schlüpfe ich unter die Decke und versuche, warm zu bleiben. Wieder packt es leise zum Aufbruch. Nun steht auch sie früh an der Tür: «Tschüss! Gute Fahrt und bis bald!»! Meine Bewunderung gilt ihr und all den anderen vor mir.
Endlich schlafe ich tief in den Tag. Der Sturm hat sich gelegt, der Regen kann warten. Mittags, trocken und warm, packe ich das Ungewisse mit Zuversicht ein und steige auch wieder aufs Rad.

No items found.