Ich bin's, das Reisefahrrad von Simone. Nun erzähle ich ab und zu, wie das so ist und war auf unserem «Velotürli nach Berlin & ein wenig weiter».
Letzte Woche hatten wir ein Schlam(m)assel. Grundsätzlich bin ich grosszügig. Doch bei ihrem Hang für Abkürzungen, ziehe ich meist den Kürzeren. Wir fuhren durch einen Eichenwald, schön kühl war es. Aber in der Hälfte der Strecke landeten wir auf und in einem Schlammpfad. Geregnet hatte es seit einigen Tagen nicht mehr, die Sonne schien da aber selten auf den Boden zu gelangen. Es wäre so naheliegend, in solchen Situationen einen Rückzieher zu machen. Doch sie denkt, halb so wild, da kommen wir durch. Die Abreibe mit Heu danach…, na ja. Dann meinte sie, wir finden bald auch einen Schlauch. Und wenige Stunden später: Stiefel vor einer Haustüre, Wasserschlauch und Auto auf dem Vorplatz und Mann im Garten - schwups, und ich war frisch geduscht.
Manchmal frage ich mich, wie sie immer wieder irgendwelche Leute dazu bringt, ihre Wünsche zu erfüllen. Gut, sie fragt und bittet nett. Trotzdem! Ich war so ein properes Fahrrad und nun kriege ich den Schlamm nicht mehr aus meinen Rillen. Ich habe sie auch nett gefragt, ob sie ihr Reservezahnbürsteli für mich opfern würde. Sie meinte nur, kommt Zeit, kommt Regen. Und wenn wir kleinlich würden, dann werde die Welt klein. Trotzdem. Geduscht werde ich fotografiert, doch ich schwer im Schlamm, das wolle sie nicht «dokumentieren». Das wäre ihr zu peinlich und sie hätte auch gar keine Hand frei gehabt. Eben, das habe ich mitbekommen.
Neu ist, dass sie Stalldrang hat, auch wenn sie es nicht zugeben würde. Weiter macht sie sich Sorgen, dass sie Erlebnisse, Begegnungen und Orte der letzten drei Monate vergessen könnte. Sie ärgert sich, dass sie zu faul war, ein Tagebuch zu schreiben. Ich denke jedoch, sie war zu beschäftigt: mit mir, mit sich, mit Radfahren, Planen, Entscheidungen, Einpacken, Auspacken, Wäsche waschen, mit täglich neuen Landschaften, Eindrücken, Informationen, Menschen und mit der Suche nach Schlafplätzchen.
Gut, bis jetzt war sie auch ohne Tagebuch glücklich und zufrieden. Wichtiger sei ihr das Jetzt. Das ist doch eine Floskel! Sie kann auch nicht den ganzen Tag Yoga praktizieren. Ich wäre für sie das neue Yoga. Hallo!?
Nach unserem Schlamassel habe ich vorgeschlagen, dass ich ab und zu das Schreiben und Erinnern übernehmen könnte. Sie hat zugestimmt, zwar nur unter bestimmten Bedingungen. Mal schauen, wie lange ich das Wort an dieser Stelle haben werde. Doch wir sind uns einig, wir wollen nur noch das tun, wofür wir motiviert sind.
Übrigens, seit wir in England sind, freue ich mich auch über meinen englischen Namen «Wanderlust». Vor einem Jahr meinte Simone in meinem Mutterhaus, bei der Tour des Suisse AG in Kreuzlingen: Das «Fernweh», das ist genau mein Typ! In die Ferne ja, aber möglichst ohne Weh, für wen oder was auch immer - daher heisse ich nun gerne «Wanderlust».